War es Zufall? Stunden nachdem die Verhandlungsführer in nächtlichem Marathon zu einer Einigung über die Addis Abeba Action Agenda für nachhaltige Entwicklungsfinanzierung gekommen waren, funktionierte im Konferenzzentrum der Vereinten Nationen auch das Internet reibungslos. Etwas, das während der vergangenen Verhandlungstage nun überhaupt nicht der Fall gewesen war. Journalisten, Delegierte, Vertreter von Nichtregierungsorganisationen – alle hatten gemeinsam mit den Tücken der Kommunikations-Infrastruktur vor Ort gekämpft, zumal oft auch sämtliche mobilen Telefonverbindungen ausfielen. Ein Schelm wer, in Richtung äthiopische Regierung, Böses dabei denkt.
Wu Hongbo, Vize-Generalsekretär der Vereinten Nationen tat das jedenfalls nicht, sondern lobte am Morgen nach der Einigung Äthiopien als geschickten Gastgeber. Natürlich gebe es da manchmal auch Herausforderungen, so Wu HongBo, ließ aber offen, welche er damit meinte. Eine Herausforderung für die äthiopische Verhandlungsführung unter Außenminister Tedros Adhanom Ghebreyesus war aber sicherlich, die Konferenz aus Imagegründen auf keinen Fall scheitern zu lassen. Äthiopien habe daher, gemeinsam mit der EU und den UN, auf seine Kollegen der G-77 Gruppe erheblichen Druck ausgeübt, um Addis nicht an der Frage eines neuen, internationalen Steuerkomitees unter dem Dach der Vereinten Nationen platzen zu lassen. Wie groß der Druck tatsächlich war, blieb am Ende unbestätigt. Am Ende ging aber niemand so weit, den Verhandlungstisch zu verlassen. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag lag dann schließlich der „Kompromiss“ auf dem Tisch. Statt eines neuen Komitees, soll nun erstmal der UN Expertenausschuss zu Steuerfragen aufgewertet werden, der bereits besteht, bisher aber finanziell und personell unzureichend ausgestattet ist. Der umstrittene Paragraph 29 der Addis Action Agenda sieht jetzt erstmal vor, die Anzahl der Treffen des Komitees zu erhöhen. „Ein viel zu schwacher Schritt“, so Wolfgang Obenland vom Global Policy Forum. „Das Beste, was wir zu diesem Zeitpunkt kriegen konnten und überdies nur ein erster Schritt, aber nicht das Ende der Reise“, so dagegen UN-Mann Wu Hongbo.
Doch Kritik an „AAAA“, wie Insider die Addis Agenda nur noch nennen, bleibt bestehen – auch mit Blick auf andere Punkte: „Statt wie in Addis weiter vor allem auf Freiwilligkeit in der Unternehmensverantwortung zu setzen, brauchen wir endlich verbindliche Standards für Unternehmen und öffentlich-private Partnerschaften, die die Achtung der Menschenrechte durch transnationale Unternehmen sicherstellen. Höchste Zeit also für Deutschland, seinen Widerstand aufzugeben und sich an den Diskussionen um ein rechtsverbindliches UN-Abkommen zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen in Genf zu beteiligen“, kommentiert etwa Misereor-Vorstandsvorsitzender Pirmin Spiegel. „AAAA“ werfe überdies keinen kritischen Blick auf die Handelsabkommen und insbesondere die umstrittenen Schiedsgerichtsverfahren zwischen privaten Investoren und Staaten, bemängelt das internationale CSO-Forum in seiner Stellungnahme zum Abschluss der Konferenz. Insgesamt werde zu sehr auf private Investitionen sowie öffentlich-private Partnerschaften als „neues Heilmittel“ für nachhaltige Entwicklungsprozesses. Insgesamt kommen nach Ansicht der Zivilgesellschaft tiefgreifende systemische Reformen des internationalen Finanz- und Entwicklungssystems in der Addis Agenda zu kurz.
Die ursprüngliche Forderung, das 0,7 % ODA-Ziel der Geberländer (Deutschland liegt derzeit bei 0,41 Prozent) mit einer klaren Zeitvorgabe zu versehen, fiel weitgehend unter den Tisch. Immerhin zeigte sich Gyan Chandra Acharya, Vertreter der ärmsten Länder, zufrieden mit der Zusage der EU, dass 0,2 Prozent des Bruttosozialproduktes als Entwicklungshilfe auf eben diese aller ärmsten Länder bis zum Jahr 2030 entfallen sollen. Auch ein anvisierter Sozialvertrag zwischen Regierungen und ihrer Bevölkerung zu mehr sozialen Sicherungsleistungen setze positive Signale. Acharya verwies auch auf den Bereich Technologie, bei dem es zu positiven Vereinbarungen für Austausch und Finanzierungen gekommen sei. Auch die Tatsache, dass letztlich ein starker Follow-up Mechanismus vereinbart wurde, stieß bei den Vertretern des Südens und bei Nichtregierungsorganisationen auf positives Echo.
Der Bereich Klima hatte in Addis nicht ganz so eine große Rolle gespielt, wie zunächst vielleicht erwartet. Noch am Vorabend hatte sich Oxfam-Direktorin Winnie Byanyima enttäuscht darüber gezeigt, dass Addis keine starken Signale nach Paris sende. Von den 100 Milliarden US Dollar, die Industrieländer in einen Fonds einzahlen wollen, damit in den Entwicklungsländern Projekte zur Anpassung an den Klimawandel bezahlt werden können, seien in Wirklichkeit bislang nur rund 20 Milliarden geflossen. Vielfach werde reguläre öffentliche Entwicklungshilfe einfach zur Klimafinanzierung umdeklariert. „Diese doppelte Zählung muss aufhören“, so Byanyima. Zwar sei es zu begrüßen, dass Anpassung an den Klimawandel sich durch alle Entwicklungsprojekte zieht. „Aber dann brauchen wir auch höhere Budgets.“ Immerhin bekräftigt „AAAA“ noch mal die Zusage von 100 Milliarden US-Dollar. Subventionen im Bereich fossiler Energien sollen auslaufen.
Insgesamt schwankte daher die Stimmung in Addis zum Ende der Konferenz von enttäuscht bis verhalten optimistisch. Dass ein kompletter Abbruch auch niemandem so richtig gut getan hätte, war – trotz aller Formelkompromisse – ebenfalls klar. Nur ein Vertreter der US-Handelskammer saß am späten Nachmittag entspannt und hemdsärmelig in der Lobby seines Tagungshotels. Er sei nicht „happy“, sondern „enlightened“ über das Abkommen, so der Mann. Am meisten nämlich hatte er die Institutionalisierung eines internationalen Steuerkomitees gefürchtet.
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin Köln/Brüssel, derzeit Addis Abeba