1 Schon seit Jahrzehnten engagieren Sie sich für die Frauenbewegung und setzen eine besondere Verbindung zu ökologischen Fragen. Wieso ist es wichtig, diese zwei Themen zusammenzudenken?
Es war immer schon ein Markenzeichen des Feminismus, Themen zusammenzudenken, weil sie zusammenhängen. Ökonomie und Arbeit, ein zentrales Themenfeld von Frauenbewegungen, sind nicht abtrennbar von der Ökologie und dem gesellschaftlichen Bezug auf Natur. Umweltzerstörung durch Kommerzialisierung und Industrialisierung, Ressourcenraub und Großtechnologien wurde von Frauenbewegungen seit den 1970er Jahren zunehmend thematisiert und politisiert, weil der Lebens- und Arbeitsalltag von Frauen im Norden wie im Süden existentiell bedroht war. Versorgungsarbeit von Frauen, die überall für das tagtägliche Wohlbefinden, Ernährung und Gesundheit der Familien zuständig sind, ist unmittelbar betroffen von Umweltschäden und den Auswirkungen von Risikotechnologien. In ihren Protesten verbanden Frauenbewegungen deshalb die Ablehnung von Kernkraft mit dem Kampf gegen Nuklearwaffen und Militarisierung und dem gegen Gentechnik in den Nahrungsmitteln.
Frauen im globalen Süden protestierten gegen Großprojekte wie Staudämme, wollten Wasser, Wälder und pflanzengenetische Ressourcen als Gemeingüter erhalten und Privatisierung und Industrialisierung verhindern, weil sie für die Wasser- und Energieversorgung der Haushalte verantwortlich und Schlüsselgestalten in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft sind. Ökofeministinnen gingen dabei von einer besonderen Naturnähe von Frauen aus und sahen eine Parallele in der Unterordnung von Frauen und Natur durch Wissenschaften und Technologien. Tschernobyl war dann ein Meilenstein für die feministische Politisierung von Umweltthemen und für die Frage: wie wollen wir – und unsere Kinder – in Zukunft leben.
 2 Spielte diese wichtige Perspektive beim Gipfel 1992 eine Rolle?
Die Themen ‚feministische Ökologie’ und ‚Gender und Nachhaltigkeit’ hatten damals Hochkonjunktur. Viele politische Debatten waren von Stereotypen dominiert: Frauen als Opfer, als Verursacherin von Umweltschäden oder aber als Retterin. Transnationale Frauennetzwerke bereiteten sich systematisch auf den Gipfel vor, um als politische Subjekte aufzutreten. Sie wollten aus der Frauennische herauskommen, ihre Perspektiven in die Regierungsverhandlungen einbringen und deutlich machen, dass es bei all diesen Themen auch um Geschlechtergleichheit, Verfügungsgerechtigkeit und Demokratie geht. In ihren politischen Strategien rückte der Rechtsansatz zunehmend ins Zentrum, von einem Menschen- und Bürger*innen-Recht auf eine intakte Umwelt bis zu Frauenrechten auf Ressourcennutzung und Gesundheit. Erklärtes Ziel war Partizipation an „Global Governance“ und politische Mitsprache und Entscheidungsmacht.
1991 erarbeiteten Frauenorganisationen ein eigenes Positionspapier, in dem sie das Konzept von Überlebenssicherung mit der Forderung nach einer Remoralisierung der umweltzerstörenden Politik und Wirtschaft verbanden. Beim NGO-Forum in Rio waren sie die stärkste Gruppe und verstanden sich als „change agents“. Das reflektiert sich darin, dass die Agenda 21 sie als wichtige Akteursgruppe für Umweltschutz und Armutsbekämpfung anerkennt. Die feministische Strukturkritik an ressourcenräuberischer Entwicklung, dem neoliberalen Markt und der Wachstumsökonomie auf Kosten der Lebensgrundlagen gerade armer Bevölkerungsgruppen findet sich dagegen in der Agenda nicht wieder. Deren Perspektive ist markt-, technik- und wachstumsoptimistisch.
3 Welche Schwächen sehen Sie in unserem derzeitigen Globalisierungsmodell? Wenn Sie auf die letzten 25 Jahre zurückblicken, haben wir Fortschritte gemacht? Spielten die Rio-Ergebnisse irgendeine Rolle? Und haben die SDG eine Chance, positive Entwicklungen zu bringen?
Unter Globalisierung verstehe ich die konzerngesteuerte transnationale Expansion kapitalistischer Märkte, der Produktion, des Konsums, der Finanzen, unter den Vorzeichen des Wachstums, des Profitmachens, der Konkurrenz. Wir wissen aber – und das Bewusstsein darüber ist in den vergangenen 25 Jahren stark gewachsen – dass es in den natürlichen Ressourcen, in der Umwelt, aber auch in den sozialen Zusammenhängen und den menschlichen Arbeitskräften Grenzen für dieses Wachstum gibt und dass dies seine eigenen lebendigen Grundlagen untergräbt und zerstört. Der Klimawandel ist zur Metapher dafür geworden, dass es nicht so weiter gehen kann.
Die Agenda 21 von Rio hat diesen Entwicklungen nicht nachhaltig gegengesteuert, weil sie davon ausging, dass sich die Schäden des Wachstumsmodells durch technische und Marktinstrumente vermeiden lassen. Mit der Verdichtung der Finanzmärkte, verschärftem Ressourcenextraktivismus und nationalistischen Politiken wächst jedoch der Druck auf die Lebensgrundlagen der Armen und die Rücksichtslosigkeit gegenüber sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeiten. Die globalen Konsumschichten handeln de facto als Komplizen dieser Politik und Ökonomie, weil sie eine „imperiale Lebensweise“ (Ulrich Brand/Markus Wissen) auf Kosten von Natur und Menschen im Globalen Süden führen.
Die MDGs waren insgesamt ein Flop, den SDGs wird es unter den verschärften politischen Bedingungen nicht besser ergehen, was sich deutlich im aktuellen Kurs der G7 und auch der G20 abzeichnet. Die SDGs sind relativ bedeutungslos für globalisierungskritische Bewegungen, die derzeit lokal und transnational für die Möglichkeit einer „anderen“ Globalisierung streiten und kämpfen. Feministische Netzwerke jenseits von Elitefrauen machen sich dabei vor allem stark für einen Perspektivwechsel, der von einer „Caring“ Politik, Demokratie und Wirtschaft ausgeht und Rechte, Bedürfnisbefriedigung, Versorgung und Gemeingüter, sprich: ein gutes Leben für alle weltweit ins Zentrum stellt.
Christa Wichterich, Soziologin, Schwerpunkt Geschlechter- und Entwicklungssoziologie, versteht sich als Scholar Activist, war Gastprofessorin an der Uni Kassel und Dozentin an der Uni Basel, Wien und anderen Unis, arbeitet als freiberufliche Publizistin und Buchautorin.