November, 2017
Am Ende war Günter Nooke „doch ziemlich sauer auf die EU-Kommission“. Denn die, so der Afrika-Beauftragte von Kanzlerin Angela Merkel, sei trotz aller gegenteiligen Beteuerungen vor und während des Gipfels zwischen der Europäischen und der Afrikanischen Union in Abidjan nicht bereit, wirklich etwas an der politischen Architektur zwischen beiden Kontinenten zu ändern. Nooke: „Alle sagen jetzt, wir brauchen einen neuen EU-AU Vertrag. Doch anstatt die europäisch-afrikanische Säule tatsächlich innerhalb der Beziehung zwischen der EU und den AKP-Staaten (Afrika-Karibik-Pazifik) durch solide finanzielle Ausstattung zu stärken, wird das Geld weiter unpolitisch für die AKP ausgegeben.“ Da nütze es auch nichts, dass die AKP jetzt nicht mehr als „umbrella“, also Schirmorganisation für die EU-Afrika-Beziehungen, sondern als „Foundation“, also ihr Fundament bezeichnet werde. Nur das „wording“ zu ändern, so Nooke, nütze nichts und sei „eigentlich ein Skandal“. Sein Verdacht: „Die Kommission verhandelt wohl lieber mit schwachen AKP-RepräsentantInnen, als mit selbstbewussten afrikanischen Staatschefs.“
Ringen um neues Selbstbewusstsein
Das, so Nooke, zum Abschluss des afrikanisch-europäischen Gipfeltreffens in der Elfenbeinküste, müsse sich aus deutscher Sicht allerdings bald ändern. „Das Geld muss dahin fließen, wo auch politisch entschieden wird. Und nur wenn die EU-Afrika-Säule finanziell unterfüttert ist, kann sie völkerrechtlich wirksam sein.“ Auf eine solche Stärkung dieser Säule jedenfalls werde Deutschland in den kommenden Jahren bis zum Auslaufen des bestehenden Cotonou-Abkommens mit den AKP-Staaten und der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft Ende 2020 hinwirken. Die Haltung Nookes dürfte bei der afrikanischen Seite auf positive Resonanz stoßen – denn auch die AfrikanerInnen betonten zum Abschluss des Gipfels in Abidjan immer wieder, dass es in der künftigen Beziehung zu den EuropäerInnen um ein neues Selbstbewusstsein auf dem afrikanischen Kontinent geht. Alpha Condé, Staatspräsident Guineas und zugleich Präsident der Afrikanischen Union (AU): „Afrika ist heute stärker als zuvor, weil es inzwischen mit einer Stimme spricht.“
EPAs kaum Gipfelthema
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Ob das allerdings ausreicht, um auch in den Handelsbeziehungen zu der vielbeschworenen „Partnerschaft unter Gleichen“ zu kommen, blieb in Abidjan weitgehend offen. Über die umstrittenen Wirtschaftsabkommen EPAs (Economic Partnership Agreements), von Nichtregierungsorganisationen immer wieder als neoliberales Machtinstrument der EuropäerInnen gegenüber Afrika kritisiert, verantwortlich für die Zerstörung lokaler Märkte und den Verlust wichtiger Arbeitsplätze – über diese EPAs wurde am Ende auf dem Gipfel kaum gesprochen. Dass es manchmal so scheint, „als ob von den EPAs allein die Beziehung zwischen Europa und Afrika abhängen würde“, kritisiert unterdessen auch Reinhard Palm, Leiter der Abteilung Afrika bei Brot für die Welt. Dennoch seien die EPAs zum Symbol dafür geworden, wie sehr sich die AfrikanerInnen immer noch durch Europa „düpiert und zurückgesetzt“ fühlten. Auch Palm spricht sich dafür aus, die EU-Afrika-Schiene eher zu stärken, als die Gesamtbeziehung mit den AKP-Staaten. Doch derzeit, so Palms Einschätzung in Abidjan, ist der EU-AU Vertrag noch ein „Prozess ohne Unterleib.“
Migration als beherrschendes Thema
Und so beherrschte statt des Handels, das Thema Migration den Gipfel – auch noch angefeuert durch die aktuellen Berichte über den Sklavenhandel mit afrikanischen MigrantInnen in Libyen. Gemeinsam wollen EU und AU nun gegen Schlepperbanden und Menschenhandel vorgehen –eine Task Force zusammen mit den Vereinten Nationen soll möglichst schnell helfen, Opfer mittels eines Evakuierungsplans aus Libyen heraus zu holen und neue MigrantInnen entlang der Routen durch den Sahel zu schützen. Illegale Einwanderung von Afrika nach Europa bekämpfen und zugleich legale Möglichkeiten der Migration erhöhen, das war auch das Credo von Kanzlerin Merkel auf dem Gipfel. „Wir wollen, dass bei den Jugendlichen Afrikas folgende Botschaft ankommt: „Wenn Du illegal mit Schleppern zu uns kommst, hast Du keine Chance. Doch auf dem legalen Weg gibt es diese Chance für Dich“, so Merkel vor JournalistInnen in Abidjan. In welcher Größenordnung diese zusätzlichen legalen Wege geschaffen werden sollen, dazu wollte sie sich allerdings noch nicht äußern. „Wir müssen erst einmal sehen, wie der Bedarf ist.“ Befürwortet wurde allerdings auch von Merkel, zusätzlich zum europäischen „Erasmus+“ Programm für Studierende, Weiterbildungsangebote etwa für HandwerkerInnen anzubieten. Nicht nur afrikanische Studierende, sondern auch junge afrikanische Auszubildende anzusprechen, ganz so wie es auch Außenminister Sigmar Gabriel fordert, hält auch Günter Nooke für eine gute Idee. „Diese Jugendlichen können ja erst nach Europa kommen, wenn sie schon eine Berufsausbildung in ihrem afrikanischen Heimatland vorweisen können“, so Nooke. „Das hilft, in Afrika selbst einen Bewusstseinswandel einzuläuten und auf Berufsausbildung zu setzen – denn bislang gilt dort immer noch, nur wer studiert, ist was wert“. In der Tat aber gebe es für junge HandwerkerInnen, etwa im Straßen- und Häuserbau oder auch im Bereich Erneuerbare Energien inzwischen in Afrika gute Jobperspektiven.
Förderung auch für den informellen Sektor
Des Weiteren spricht sich der deutsche Afrikabeauftragte dafür aus, nicht nur ausländische Direktinvestitionen im großen Stil zu unterstützen, sondern ganz gezielt auch afrikanische Mikro-Unternehmen, Entrepreneurship im kleinsten Stil – runter bis auf Dorfebene. Nooke: „Kleinstprojekte im Rahmen von 500 bis 5000 Euro können da schon Sinn machen“, zumal in Afrika die meiste Beschäftigung derzeit noch vom informellen Sektor ausgehe. Durch die Förderung von Kleinstunternehmen im Rahmen dieses informellen Sektors könnten auch dort mehr Arbeitsplätze geschaffen und langfristig eine Transformation hin zum formellen Sektor erreicht werden – ein Sektor, der derzeit nur für zehn Prozent der Arbeitsplätze in Afrika steht.
Doch trotz mancherlei Ankündigungen, getreu dem Gipfelmotto in die „Jugend Afrikas als Motor für eine nachhaltige Entwicklung zu investieren“, erscheinen vielen BeobachterInnen die konkreten Ergebnisse in Abidjan viel zu dünn. Von einer „bitteren Enttäuschung für Afrikas Jugend“ spricht die entwicklungspolitische Lobbyorganisation ONE. Das Abschlussdokument des Gipfels enthalte „keine konkreten und messbaren Zusagen“ für Investitionen in die Jugend. „Die Partnerschaft zwischen Afrika und Europa sollte sich nicht darauf beschränken, nur im Krisenmodus Brände zu löschen“, so Frederike Röder, Frankreichdirektorin von ONE. „Es müssen gemeinsame Strategien entwickeln werden, um Katastrophen zu verhindern.“
Wo ist die deutsche Zivilgesellschaft?
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Die Frage, ob auf solche Strategien durch bessere Präsenz nachdrücklicher gepocht werden kann, müssen sich aber auch viele Organisationen der deutschen Zivilgesellschaft gefallen lassen. Die nämlich waren in Abidjan zwar auf dem Alternativ-Gipfel „Forum des Peuples“ vertreten (zumindest bis er von der ivorischen Polizei geschlossen wurde), doch beim Start des eigentlichen Gipfels mitsamt ihrer Expertise schon wieder abgereist. MedienvertreterInnen, die vor Ort das Geschehen verfolgten, wurden für Interviews an die Bürozentralen in Deutschland zurückverwiesen. Ob das für die Jugend Afrikas so hilfreich war, bleibt fraglich.
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin, Brüssel/ aktuell in Abidjan.