High Level Political Forum
11.07.-20.07. 2016
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Das High Level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) ist das zwischenstaatliche Forum der UN zur Überprüfung und Nachverfolgung der Umsetzung der 2030-Agenda und ihrer Sustainable Development Goals (SDG). Die Rolle des HLPF liegt darin, eine Plattform für den Erfahrungsaustausch über die politische Richtung, für Beratung und Empfehlungen zur Umsetzung der 2030-Agenda bereitzustellen. Es hat keine Entscheidungskompetenzen oder direkte Koordinationsfunktion gegenüber Regierungen. Es tagt jedes Jahr und beschließt eine Ministererklärung (Ministerial Declaration).
Die vierte Sitzung des HLPF fand unter der Schirmherrschaft des Wirtschaft- und Sozialrates (ECOSOC) vom 11.-20. Juli 2016 statt, das erste Mal nach der Verabschiedung der 2030-Agenda 10 Monate zuvor, und beinhaltete ein dreitägiges MinisterInnensegment. 22 Staaten erklärten sich freiwillig bereit, die Umsetzung in ihren Ländern im Kontext der sogenannten „Voluntary National Reviews“ vorzustellen. Thema des diesjährigen HLPF war „Leave no one behind“, welches sich als roter Faden durch die Beiträge und Side Events zog.
Voluntary National Reviews – Freiwillige Staatenberichte
Die 22 Staatenberichte bildeten den Schwerpunkt des HLPF 2016. Der Hintergrund dieser Staaten (Region, „Entwicklungsstatus“, Regierungsform) war durchaus divers: Ägypten, China, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Kolumbien, Rep. Korea, Madagaskar, Marokko, Mexiko, Montenegro, Norwegen, Philippinen, Samoa, Schweiz, Sierra Leone, Togo, Türkei, Uganda, Venezuela. Die Staaten wurden für die Berichte in 5 Gruppen eingeteilt, die über den Zeitraum vom 19.-20. Juli jeweils mit 15 Minuten pro Staat und anschließenden Kommentaren durch andere Mitgliedsstaaten sowie ExpertInnen und VertreterInnen der Major Groups strukturiert waren. Dass Entwicklungsländer und Industrieländer dabei auf gleicher Augenhöhe und in einem gleichberechtigten Austausch berichteten, wurde als positiv wahrgenommen. Einige Staaten wählten ein klassisches Redeformat für Ihren Bericht, während andere Filme oder Grußbotschaften ihrer Staatschefs einbanden. Auch die Inklusion von gesellschaftlichen Akteuren als Teil der Redezeit wurde von einigen Staaten (darunter Deutschland, Finnland, Schweiz) genutzt.
Die Berichte zeigten ein sehr diverses Bild der 2030-Agenda-Umsetzung auf nationaler Ebene. Während einige Staaten in ihren Berichten bereits vor allem von institutionellen Mechanismen zur Umsetzung oder Einbindung in bestehende nationale Politiken berichten konnten, befand sich der Prozess in anderen Staaten noch völlig am Anfang. Eine sich wiederholende Analyse der Staaten lag zudem darin, dass die Umsetzung voraussichtlich eine Priorisierung und Auswahl einiger SDG zur Folge haben wird.
Zum Abschluss des HLPF wurde eine Ministererklärung verabschiedet. Bis zuletzt war nicht klar, ob deren Verabschiedung gelingen würde, da Formulieren zu besetzten Gebieten und zum Pariser Klimaabkommen von einigen Mitgliedsstaaten zunächst nicht mitgetragen werden konnten. Die Debatten um die Ministererklärung zeigten jedoch die Unklarheiten bezüglich der Verfahrensregeln des HLPF auf.
Verschriftlichungen der Präsentationen sowie die nationalen Berichte sind auf der offiziellen HLPF-Homepage zu finden. Eine detaillierte Dokumentation der Berichte findet sich bei IISD. Eine Aufzeichnung der Beiträge ist unter folgenden Links einzusehen:
Gruppe 1 Mexico, Morocco, Sierra Leone, Switzerland and Montenegro
Gruppe 2 Norway, Madagascar, Georgia and Turkey
Gruppe 3 Finland, Samoa, Uganda and Germany
Gruppe 4 Togo, Estonia and the Philippine
Gruppe 5 Colombia, Egypt, France, China, the Bolivarian Republic of Venezuela and the Republic of Korea
Zivilgesellschaftliche Beteiligung und Kommentierung
Entsprechend des Leitmotives der 2030-Agenda „Leave no one behind“, sollte die Einbindung gesellschaftlicher VertreterInnen einen großen Stellenwert beim HLPF einnehmen. Im Rahmen der neun Major Groups and other Stakeholders (Women; Children and Youth; Indigenous Peoples; Non-Governmental Organizations; Local Authorities; Workers and Trade Unions; Business and Industry; Scientific and Technological Community; Farmers) konnten die Zivilgesellschaft und andere gesellschaftliche Akteure somit durchgehend in den offiziellen Segmenten des HLPF sprechen. Statements nicht-staatlicher Akteure finden sich auf der offiziellen HLPF-Homepage.
Im Vorfeld des HLPF wurden von zivilgesellschaftlichen Organisationen zahlreiche Berichte verfasst, die den Stand der Umsetzung in unterschiedlichen Ländern beleuchten und auf Side Events vorgestellt wurden. Eine Auswahl:
Zudem wurde während des HLPF von zahlreichen NGOs ein Brief an den ECOSOC-Präsidenten verfasst, der Empfehlungen für das Programm und die Modalitäten des HLPF enthielt.
Bewertung des HLPF 2016 durch Zivilgesellschaft
Trotz des theoretisch sehr weit angelegten Beteiligungsformats der Zivilgesellschaft beim HLPF blieben die konkreten Möglichkeiten nichtsdestotrotz hinten den Erwartungen vieler zivilgesellschaftlicher Akteure zurück. Zum einen war zwar die Beteiligung beim HLPF strukturell gut ausgebaut, die Statements hatten jedoch im weiteren Verlauf kaum Auswirkungen auf die Debatten. Der Zeitraum für die Berichte der Staaten betrug ca. 15 Minuten, worauf Kommentare von anderen Staaten, ExpertInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft folgten. Die Zivilgesellschaft kritisierte dabei zum einen die viel zu kurze Zeit für die nationalen Berichte, die es für Staaten kaum ermöglichte wirklich in die Tiefe zu gehen. Als verbreitetste Struktur der Staatenberichte blieb ein einfaches Vortragsformat, bei welchem Statements vorgelesen wurden, was kaum einem innovativen und interessanten Berichtsformat entspricht. Immerhin: Einige Staaten fügten zudem Videos in ihre Präsentation ein. Anerkennung erhielten die Berichte von Deutschland und Finnland, die nicht nur einen Vertreter gesellschaftlicher Gruppen als Teil ihrer Präsentation sprechen ließen, sondern auch ein gewisses Maß an Reflektion und Analyse in den Bericht einbrachten.
Eine weitere Schwachstelle stellte laut VertreterInnen der Zivilgesellschaft zudem die viel zu geringe Zeit dar, die nach den Staatenberichten zur Verfügung stand. Eine Diskussion über die nationale Umsetzung des jeweiligen Staaten konnte somit nicht geführt werden. Vorgetragene Kritik ebenso wie Nachfragen von Seiten der Major Group wurden kaum beantwortet, ein notwendiges „Geraderücken“ der Darstellung von Staaten, das sich teilweise sehr von einer Einschätzung zivilgesellschaftlicher VertreterInnen unterschied, konnte nicht angemessen vorgenommen werden. Unklar bleibt zudem, inwiefern die Kommentare der Major Groups und ExpertInnen in die weitere Umsetzung der SDG der jeweiligen Staaten mit aufgenommen wird. VertreterInnen der Zivilgesellschaft bemängelten, dass es keinen Follow-Up-Prozess für die Staaten, die bereits berichteten, gäbe. Eine der Kernforderungen vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen ist aus diesem Grund, dass alle Staaten bis 2030 mindestens drei Mal beim HLPF berichten sollen.
Die Erkenntnis, dass viele Staaten sich in der Umsetzung der 2030-Agenda voraussichtlich auf einige SDG konzentrieren werden, führte durchaus zu Besorgnis innerhalb der Zivilgesellschaft. Eine solche Priorisierung wird im Zweifelfall vor allem zur Umsetzung der „einfachen“ SDG führen, in denen die Staaten sowieso schon gut aufgestellt sind, und keine neuen Politikprozesse herbeiführen. Inwiefern damit dem transformativen Charakter der SDG gerecht werden kann, ist fraglich. Auch besteht die Sorge, dass sich das HLPF im weiteren Verlauf thematisch auf unterschiedlichen SDG konzentrieren und dadurch der Gedanke der Verbindung der SDG untereinander unterminiert wird. Zudem erscheint schon jetzt die Umweltdimension der SDG nicht angemessen adressiert.
Ein weiterer Kritikpunkt der Zivilgesellschaft war, dass viele der nationalen Berichte erst kurz vor oder sogar erst während des HLPF eingereicht wurden, eine umfangreiche Auseinandersetzung mit diesen Berichten war kaum möglich. Hiermit einher ging die Forderung nach mehr Partizipation für Zivilgesellschaft vor allem auch auf nationaler Ebene, diese sei laut zivilgesellschaftlichen VertreterInnen vielfach nicht oder nur unzureichend gegeben, die Realitäten eines kleiner werdenden Raums für Zivilgesellschaft (shrinking space) zeigten sich somit auch im Bereich der 2030-Agenda-Umsetzung und seien eine reale Gefährdung für Zivilgesellschaft weltweit.
Einer der größten Kritikpunkte der Zivilgesellschaft richte sich schließlich auf den schwachen Charakter der Debatten beim HLPF. Quasi alle Berichte blieben übermäßig positiv. Viele kritische Aussagen folgten dem Schema: „Es ist nicht alles super, aber wir haben Lösungen“, ohne eine ehrliche und selbstreflexive Analyse zu bieten. Gerade das Fehlen eines öffentlichen, konstruktiven und kritischen Austausches zwischen Staaten jenseits mehr oder weniger abstrakter oder noch nicht umgesetzter Best-Practice Beispiele führte zu einer zwangsläufigen Oberflächlichkeit der Berichte und Side Events. Obwohl dies sicherlich einerseits durch den frühen Zeitpunkt im Umsetzungsprozess geschuldet war, sollte die Umsetzung der SDG doch eigentlich sowohl auf die Millenniumentwicklungsziele (MDG) wie auch den Rio-Prozess aufbauen, deren Strukturen teilweise seit Jahrzehnten bestehen. Einen Bezug hierauf gab es aber kaum. Die überwiegend positiven Berichte erschienen besonders bizarr im Kontext der weltweiten Lage (Flucht und Migration so hoch wie seit Jahrzehnten nicht; sich verschlimmernde Umweltzerstörung; Terrorismus; Klimawandel; Verfolgung von MenschenrechtsverteidigerInnen; Erstarken rechtspopulistischer Strömungen weltweit etc.) und der noch während des HLPF eintreffenden Nachrichten zu den Terroranschlägen in Frankreich, den Amokläufen in Deutschland sowie dem Putschversuch in der Türkei und der darauf folgenden autoritären Gegenmaßnahmen.
Abschließend zeigte sich auch die Zivilgesellschaft durchaus selbstkritisch und wies darauf hin, dass die Beteiligung der marginalisierten Gruppen nicht ausreichend gegeben sei. Auch wurden die Chancen zur Formulierung konkreter Forderungen jenseits der Notwendigkeit von Partizipation nicht ausreichend genutzt. Zukünftige Zusammenarbeit soll aus diesem Grund vor allem auf Informationsaustausch und gemeinsame Strategiebildung hinauslaufen.
Deutsche Zivilgesellschaft beim HLPF
In der deutschen Delegation reisten als gesellschaftliche VertreterInnen mit: Forum Umwelt und Entwicklung, VENRO, GEW, BDI und zwei JugendvertreterInnen. Als Teil der deutschen Präsentation wurde von Ansgar Klinger, GEW, ein von Gewerkschaften, NGOs (Forum Umwelt und Entwicklung und VENRO) und BDI verfasstes Statement vorgetragen. Zudem wurde von der Bundesregierung am 19.Juli 2016 ein Side Event mit dem Titel “Involving all partners in SDG implementation and review – Perspectives from different parts of society” veranstaltet, bei welchem gesellschaftliche Akteure zusätzlichen Raum für Statements hatte. Folgende Statements wurden abgegeben:
Marie-Luise Abshagen, Forum Umwelt und Entwicklung
Daniel Jüttner, Brot für die Welt/ VENRO
Ansgar Klinger, GEW
Rupert Heindl, Jugendvertreter
Martin Schröder, BDI
Zentrale Fragen für den weiteren HLPF-Prozess
Die Themen für die nächsten drei HLPF stehen bereits fest: 2017: Eradicating poverty and promoting prosperity in a changing world; 2018: Transformation toward sustainable and resilient societies; 2019: Empowering people and ensuring inclusiveness and equality. Um einen effektiven Review- und Follow Up-Mechanismus zu etablieren, gibt es für das HLPF durchaus noch Entwicklungspotential. Es ergeben sich u.a. folgende Fragen zur Weiterverfolgung:
- Wie kann das HLPF-Segment der nationalen Berichte diskursiver und kritisch-konstruktiv gestaltet werden?
- Wie kann sichergestellt werden, dass die nationalen Berichte rechtzeitig und für alle erreichbar zur Verfügung gestellt werden?
- Welche Follow-Up Strukturen braucht es für jene Staaten, die berichtet haben?
- Wie kann die Einbindung der Zivilgesellschaft im HLPF sowie auf nationaler Ebene verbessert werden?
- Wie können Staaten von anderen Staaten lernen sowie auf Anregungen aus der Zivilgesellschaft reagieren?
- Welche Strukturen braucht es, um zivilgesellschaftliche Strategiebildung inklusiver zu gestalten und zu verbessern?
Weiterführende Analysen und Informationen zum HLPF
Offizielle HLPF Seite (Programm, Dokumentation, Links zu Inputs, etc.).
Martens, Jens: Das Nachhaltigkeitsforum der UN 2016: Erstes globales Treffen zur Umsetzung von 2030-Agenda und SDGs, GPF-Briefing August 2016..
IISD: Summary of the 2016 Meeting of the High-Level Political Forum on Sustainable Developmtn: 11-20 July 2016. Earth Negotiation Bulletin Vol 33 No. 27..
Bundesregierung: Report of the German Federal Government to the High-Level Political Forum on Sustainable Development 2016, 12. Juli 2016.
Forum Umwelt und Entwicklung: Kommentierung des Deutschen HLPF-Berichtes.
Bundesregierung: Entwurf der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie und Kommentierungen gesellschaftlicher Akteure.
Forum Umwelt und Entwicklung et al: Kommentierungen der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie: 1) Forum Umwelt und Entwicklung Stellungnahme; 2) Verbändestellungnahme; 3) AG Wasser Stellungnahme.
Von Marie-Luise Abshagen