Februar 2018
Nein, sagt Pierre Krähenbühl, dass nun irgendjemand Geld in die Hand nähme, vortrete und die Lösung präsentiere, damit sei nicht zu rechnen. Und so hat sich der Generaldirektor des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East, UNRWA) selbst auf eine Marathon-Reise durch die Hauptstädte der Welt gemacht, um möglichst bald die große finanzielle Lücke schließen zu können, die durch die drastischen Kürzungen der US-Zahlungen an das Hilfswerk entsteht. Dabei führte der Weg nun auch nach Brüssel. Dort traf sich in dieser Woche die Internationale Geber-Gruppe für Palästina zu einer außerplanmäßigen Sitzung – unter anderem als Reaktion auf die schlechten Nachrichten aus den USA.
Vor etwa zwei Wochen hatte die Regierung von US-Präsident Donald Trump angekündigt, Mittel in Höhe von rund 65 Millionen Dollar (52,3 Millionen Euro) einzufrieren – gut die Hälfte der ersten Tranche der für dieses Jahr vorgesehenen US-Hilfe von insgesamt über 360 Millionen Dollar an das UNRWA. Die USA begründeten den Schritt mit der fehlenden Bereitschaft der PalästinenserInnen zu Friedensverhandlungen mit Israel – eine Entscheidung, für die Krähenbühl kein Verständnis hat. Denn eine Schwächung von UNRWA und seiner Leistungen führe nur zu weiteren Radikalisierungen in der Region – insbesondere unter den jungen palästinensischen Flüchtlingen. Krähenbühl: „Vielen der rund fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge fehlt nicht nur völlig die politische, sondern auch die persönliche Perspektive.“ Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen betrage 65 Prozent – „das ist absoluter Weltrekord“, so Krahenbühl. Durch Unterfinanzierung der UNRWA würden die Hoffnungen dieser Menschen noch weiter schwinden. Denn vielerorts seien die palästinensischen Flüchtlinge fast vollständig von dem UN Hilfswerk abhängig.
Schulen und Gesundheitsversorgung gefährdet
UNRWA bietet Unterstützung für PalästinenserInnen in Jordanien, Syrien, dem Libanon, im Gazastreifen und im Westjordanland, die entweder selbst nach dem arabisch-israelischen Krieg 1948/49 geflohen oder Nachkommen der Geflohenen sind. Die UN Organisation mit ihren rund 30.000 Angestellten ist vor allem im Bereich der Erziehung und Bildung tätig. Allein 22.000 Angestellte managen Krähenbühl zufolge 700 Schulen in der Region für 500.000 SchülerInnen. Durch die US-Kürzungen stünden nun nicht nur diese Schulen, sondern auch Essensrationen und finanzielle Unterstützung für 1,7 Millionen besonders bedürftige PalästinenserInnen ebenso wie der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Hilfe für Familien auf dem Spiel. Dabei hätten all die Jahre über besonders die MitarbeiterInnen in Konfliktzonen, wie in Syrien, Außergewöhnliches geleistet. Krähenbühl: „Sie haben es geschafft, trotz schwierigster Bedingungen die Schulen aufrecht zu erhalten. Da werde ich nicht in ein paar Wochen hingehen und sagen, Ihr müsst schließen, weil wir kein Geld mehr haben.“
„Lebender Beweis für fehlende Lösung“
Der UNRWA-Generaldirektor will vielmehr alles tun, um die finanzielle Lücke doch noch zu schließen. Schließlich habe sich die internationale Gemeinschaft im vergangenen Jahr ausdrücklich für die Verlängerung des UNRWA-Mandats und damit für die anhaltende Wichtigkeit der Organisation ausgesprochen. Krähenbühl: „Wir sind der lebende Beweis dafür, dass es im Nahost-Konflikt noch keine politische Lösung gibt. Und solange das der Fall ist, muss UNRWA weiter bestehen.“ Wo die fehlenden Gelder allerdings genau herkommen sollen, ist noch unklar. Zwar ist viel von „gemeinsamen Anstrengungen“ und einer „integrierten Antwort“ die Rede, doch konkrete Finanzierungsvorschläge liegen noch nicht auf dem Tisch. Allein auf die Staatsoberhäupter und mögliche Zusagen warten will UNRWA nicht – und hat deshalb einstweilen eine globale Fundraising-Kampagne in eigener Sache gegründet: #DignityIsPriceless (zu deutsch: Würde ist unbezahlbar). Damit setzt UNRWA seine Hoffnung auch verstärkt auf den Privatsektor. Über den Erfolg der gerade erst gestarteten Kampagne konnte Krähenbühl in Brüssel noch nicht viel sagen – ebenso wenig darüber, ob sich einzelne Länder, darunter zum Beispiel auch die Golfstaaten nun zu mehr Unterstützung bewegen lassen. Nur so viel: Saudi-Arabien gehöre zwar zu den größeren Gebern für UNRWA, doch in erster Linie würden Einzelprojekte finanziert. Krähenbühl: „Wünschenswert wäre ein größeres Kommitment zur Finanzierung des Kerngeschäftes, wie dem Erhalt von Schulen und Kliniken.“
„Palästinensischen Charakter aufrecht erhalten“
Die Europäische Union unterhält seit 1971 eine strategische Partnerschaft mit UNRWA. In 2017 flossen insgesamt 107 Millionen US Dollar von der EU an die UN Organisation – damit war die EU bisher nach den USA der zweitgrößte Finanzier für UNRWA. Für die nächsten zwei Jahre sind aus Brüssel – zumindest auf dem Papier – weitere 143 Millionen US Dollar zugesagt. Außerdem beschlossen die Mitglieder der Internationalen Geber-Gruppe für Palästina unter Leitung der EU-Außenbeauftragten Frederica Mogherini ein weiteres Hilfspaket von 42 Millionen Euro. Darin enthalten sind 14,9 Millionen Euro für Maßnahmen in Ostjerusalem, „um den palästinensischen Charakter der Stadt aufrecht zu erhalten“, wie es in einer Presseerklärung der EU dazu heißt. Dazu gehören Öffentlichkeitsarbeit, Investitionen in Jugend und Bildung und Förderung der Privatwirtschaft. Weitere 27,6 Millionen sollen den Aufbau eines demokratischen und rechenschaftspflichtigen Palästinenserstaates unterstützen – durch gezielte politische Reformen, Konsolidierung des Haushaltes und Stärkung von klein- und mittelständischen Betrieben. Das Hilfspaket wird aus dem Topf des Europäischen Nachbarschaftsinstrumentes (ENI) bezahlt und ergänzt weitere, bereits zuvor genehmigte EU-Mittel in Höhe von 158 Millionen Euro, mit denen die Arbeit der Palästinensischen Behörde unterstützt wird.
Zwei-Staaten-Lösung bleibt Ziel
In ihrer Erklärung zum Abschluss des Geber-Treffens betonte EU-Außenbeauftragte Mogherini zudem, dass die EU an der Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt festhalte. Damit stellt sie sich ausdrücklich gegen US-Präsident Trump, der Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatte. Inwieweit die EU nun durch zusätzliche Mittel auch helfen will, das Finanzierungs-Loch bei UNRWA zu stopfen, das durch die Kürzung seitens der USA entstanden ist, dazu ließ Mogherini nichts verlauten. Auch ein Sprecher konnte auf Nachfragen dazu keine Angaben machen. Pierre Krähenbühl wird seine Fundraising-Tournee wohl erst einmal fortsetzen müssen.
Monika Hoegen, entwicklungspolitische Fachjournalistin in Brüssel
 www.monika-hoegen.de